Zwischen Science-Fiction und Klinikalltag

Zwischen Science-Fiction und Klinikalltag
Zwischen Science-Fiction und Klinikalltag

Welche Entwicklungen bringt Künstliche Intelligenz (KI) in die Orthopädie und Unfallchirurgie? Über Chancen, Grenzen und Verantwortung von KI-gestützten Anwendungen im Fach wurde in einer „Hot-Topic“-Session auf dem DKOU berichtet und diskutiert.

„KI verspicht nicht nur innovative Entwicklungen für medizinische Anwendungen sie wirft auch Fragen und auf, etwa Probleme mit der Datensicherheit oder der Ergebnisqualität“, konstatierte Kongresspräsident Christoph-Eckhard Heyde in seinen einleitenden Worten zu der Session, in der er auch einer der drei Session-Vorsitzenden war.

Dass Digitalisierung und KI den Gesundheitsbereich transformiert, stellte der Professor für Digitale Medizin und Direktor des gleichnamigen Institutes am Universitätsklinikum Gießen-Marburg dar. „Die Zukunft ist jetzt“, so hieß es in seinem Vortragstitel. Und eindrücklich zeigte er dazu zwei Fotos von den beiden letzten Papsternennungen. Während bei Papst Benedikt die Anwesenden noch analoge Fotoapparate zückten, dokumentierten die Menschen ihren Besuch bei Papst Franziskus mit hochgehaltenen Handys und Tablets. „Und genau diese sind unsere Patienten heute, während wir in der Medizin noch auf analogem Weg Röntgenbilder tauschen“, so Kuhn.

Welche Auswirkungen KI und Digitalisierungen auf die Medizin haben stellte er im klinischen Alltag in den Bereichen Anamnese, Untersuchung, Diagnose und Therapie dar.

„70 Prozent der Patienten waren vor einer Anamnese bei Dr. Google und sind es in der Regel nach dem Arztbesuch auch wieder“, berichtete Kuhn und erläuterte, inwiefern Chatbots bereits erfolgreiche Anamnesen durchführen können. Bei einer Überprüfung der Anwendung an Patienten war er überrascht von der diagnostischen Treffsicherheit des Chatbots die um die „erstaunliche“ 70 Prozent lag und sich damit bereits jetzt als eine Alternative zum „Googeln“ erwies oder etwa zur Dokumentation von Symptomen oder als Lotsenfunktion genutzt werden könne.

Auch die Untersuchung werde immer digitaler. „Smartphone oder Smartwatsch sind das Stethoskop des 21. Jahrhunderts“, so Kuhn. Sie eigneten sich zum Teil zu dezidierten medizinischen Anwendungen. So berichtete der Experte, dass nach einem einzigen Software-update einer Smartwatch auf einem Schlag zig Millionen neue Fälle von Vorhofflimmern bei den Trägern erkannt worden seien. Als weiteres Beispiel führte er die Rheumatologische Untersuchung an. So erfasse die Patienten-App CDM alle relevanten Gesundheitsinformationen der Patienten, so dass diese bei der Arztkonsultation direkt auf dessen Bildschirm vorlägen. Auch diene sie der Patientenedukation, führe zu klinischen Verbesserungen (Lebensqualität, Krankheitsaktivität, Depression) sowie der Adhärenz und der Akzeptanz des komplexen Krankheitsbildes.

Auch die Diagnostik und daraus folgende Therapieschritte seien im Umbruch. „Schon jetzt sammeln wir enorm viele Patientendaten sehr schnell und das wird mit der Einführung der e-Akte auch noch zunehmen“, zeigte sich Kuhn überzeugt. Füttere man etwa Large Language Models wie ChatGPT mit den richtigen Daten, erwiesen sie sich erstaunlich treffsicher. Er zitierte dabei eine Studie, die ChatGPT gegen ein Tumorboard bei der Diagnose sowie den ersten Therapieschritten von Mammakarzinomen antreten ließ. „Mit Ausnahme von einem Fall kam ChatGPT zu denselben Ergebnissen wie das Board“, berichtete Kuhn und dies, obwohl die Systeme noch nicht einmal ausgereift seien. „Deshalb wird es ein wichtiges Tool in der Medizin werden“, so Kuhn weiter.

Als letzten Punkt seiner Ausführungen wandte sich der Experte den Digitalen Therapien zu, den Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und listete sechs Apps auf, die für Bewegungstherapien bei muskuloskelettalen Erkrankungen wie chronische Lumbalgie, Gonarthrose oder Patellofemorale Pathologien im Einsatz sind. Ergänzend zwei weitere Apps zur kognitiven Verhaltenstherapie bei Schmerzstörungen. „Eine Reihe von digitalen Therapien sind bereits den Standardtherapien in der überlegen“, konstatierte der Experte für digitale Medizin. Sowohl der medizinische Nutzen sei evident als auch verbesserte Abläufe und Strukturen in der Patientenversorgung.

Die aus dem Publikum geäußerten Bedenken, dass Apps einsam machten oder manuelle Therapien aus dem Blick gerieten, teilte Kuhn nicht. Manuelle Fertigkeiten würden vom digitalen Wandel unberührt bleiben. Auch dürfe man Apps nie singulär betrachten, sondern als Ergänzung. Warum nicht die sechs Physiotherapieeinheiten zu Anleitung nutzen und danach App-gestützt weiter an der Genesung arbeiten?

Zudem plädierte Kuhn dafür, dass die Fachdisziplinen stärker in der Entwicklung neuer digitaler Anwendungen engagieren sollten. Die digitale Medizin solle mitgestaltet werden und dazu motivieren eigene Defizite zu erkennen und Behandlungskonzepte zu optimieren. Sie ließe sich zudem hervorragend als Navigator durch eine zunehmende übersichtliche Leitlinien-Landschaft nutzen, erklärte der Digitalexperte abschließend.

Ethische Dimension von KI in der Medizin

Der Arzt und Gesundheitsökonom am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, Dr. Matthias Zuchowski übernahm in seinem Vortrag die philosophisch-ethische Betrachtung der KI in der Medizin, die sich als hochkomplex darstellte. Er sprach sich für das etwas abstrakte Modell einer „Umhüllung“ medizinischer KI aus. Nutzer und Hersteller teilten sich darin die Verantwortung, indem sie die richtige „Hülle“ von Anwendungsbeschränkungen und Absicherungen für die KI konstruierten.

Ein Teil dieser Hülle bestehe in den vorhandenen Gesetzten zur Nutzung und Herstellung von medizinischen Geräten und Anwendungen, erklärte Zuchowski weiter und sah, dass erhebliche Erweiterungen und Ergänzungen der Hülle notwendig seien, wenn alle ethischen und moralischen Herausforderungen bei der Nutzung der KI abgebildet werden sollen.

Juristische Aspekte beim Umgang mit KI-Anwendungen in der Medizin

Nicht weniger komplex waren die Erläuterungen des Pharmazeuten und Fachanwaltes für Medizinrecht und Versicherungsrecht Jörg Heynemann aus Berlin. In seinem Vortrag ging er auf einen Gesetzesentwurf ein, den die Europäische Union vorgelegt hat: „Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (Gesetz über Künstliche Intelligenz) und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union“ (VO-E). „Eine Regelung, die sehr abstrakt ist und alle Probleme, die durch die KI auftreten können, umfassen soll“, erklärte der Jurist, der zugleich vor seinen Ausführungen warnte, da Juristen aufgrund ihres retrospektiven und konservativen Blickes „naturgemäß als Bedenkenträger und Bremser bei der Entwicklung innovativer Techniken auftreten“.

Lesen Sie seinen Kurzvortrag hier. (hr)

Quelle: MedCon Health Contents GmbH
Bildquelle: Who is Danny via stock.adobe.com

Veröffentlicht am: 5. März 2024Kategorien: Orthopädie

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